Menschen mit sozialer Phobie machen sich in der Regel Sorgen, sozial ungeschickt zu wirken und abgelehnt zu werden. Angesichts der intensiven Angst, die sie oft in sozialen Situationen erleben, fragen sie sich, ob ihre soziale Phobie für andere erkennbar ist.
Soziale Angst geht oft mit beobachtbaren Zeichen körperlicher Aufregung einher. Allerdings neigen Betroffene dazu, das Ausmaß, in dem andere diese Anzeichen wahrnehmen, zu überschätzen. Es gibt kein leicht erkennbares objektives Merkmal, das darauf hinweist, ob eine Person soziale Phobie hat oder nur schüchtern und etwas unsicher ist.

Schauen wir uns die Ergebnisse der verfügbaren Forschungsliteratur einmal genauer an.
Selbst- und Fremdeinschätzung von sozialer Angst
Ein häufiges Merkmal bei sozial ängstlichen Personen ist die Tendenz, das Ausmaß zu überschätzen, zu dem ihre Angst für andere erkennbar ist, und zu unterschätzen, wie gut sie in sozialen Situationen auftreten (z.B., Rapee & Lim, 1992; Norton & Hope, 2001).
Wenn man unabhängige Beobachter bittet, sie zu bewerten, schneiden Menschen mit sozialer Angst bei diesen Merkmalen oft besser ab, als sie denken.

Der Grad, in dem eine Person befürchtet, beurteilt und negativ bewertet zu werden, sowie das Ausmaß an negativen Gedanken, die sie denkt, stehen in direktem Zusammenhang mit diesen Unterschieden in der Wahrnehmung (Norton & Hope, 2001).
Dieses Muster kann bei verschiedenen psychischen Erkrankungen beobachtet werden, bei denen Menschen mit psychischen Problemen sich selbst in einem negativeren Licht sehen als andere.
Es scheint, als ob dies besonders auf Menschen mit sozialer Angststörung zutrifft, die wahrscheinlich einen negativen Verzerrungseffekt erleben, wenn sie ihr eigenes soziales Auftreten bewerten.
Indem sie sich selbst als ängstlicher einschätzen, als sie tatsächlich sind, und ihr Auftreten schlechter beurteilen, als es tatsächlich ist, versuchen sie, auf Nummer sicher zu gehen und Schlimmeres zu vermeiden.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Selbsteinschätzungen sozial phobischer Menschen völlig daneben liegen.
Forschungsergebnisse deuten zwar auf einen negativen Verzerrungseffekt in Bezug auf die eigene Person hin, weisen aber auch auf reale Beeinträchtigungen der sozialen Leistungsfähigkeit und eine stärkere Angst im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen hin.
Das bedeutet, dass die Angst wahrgenommen werden kann und die soziale Leistung vermindert ist, allerdings nicht so stark, wie sozial ängstliche Menschen oft glauben.
Sichtbare Anzeichen von Angst und soziale Anziehungskraft
Im Allgemeinen sehen sich Menschen mit sozialer Angststörung anderen gegenüber als minderwertig an und leben mit dem Gefühl, ihnen nicht gerecht werden zu können (Antony, Rowa, Liss, Swallow, & Swinson, 2005; Weisman, Aderka, Marom, Hermesh, & Gilboa-Schechtman, 2011).
Im Einklang mit dieser Idee stehen die Befunde, dass Menschen mit sozialer Phobie oft davon überzeugt sind, dass andere sehr hohe und strenge Maßstäbe für soziales Auftreten haben (z.B., Moscovitch, 2009; Moscovitch & Hofmann , 2007) und sie erwarten, dass sie verurteilt und negativ bewertet werden, wenn sie diese Kriterien nicht erfüllen (Bielak & Moscovitch, 2012; Wilson & Rapee, 2005).

Aus diesem Grund verbergen sozial ängstliche Menschen Teile von sich selbst, die sozial unerwünscht sind, und zeigen subtiles oder komplettes Vermeidungsverhalten, um nicht kritisiert oder abgelehnt zu werden (Heerey & Kring, 2011; Plasencia, Alden, & Taylor, 2011).
Eines der Elemente, die Menschen mit sozialer Phobie am häufigsten zu verbergen versuchen, sind ihre körperlichen Anzeichen von Angst (Bielak & Moscovitch, 2012).
In den Augen von sozial ängstlichen Menschen sind sichtbare Anzeichen von Angst ein starker Indikator für geringe soziale Attraktivität.
Die Forschung legt nahe, dass Menschen mit sozialer Phobie solche Anzeichen mit verminderter Charakterstärke und Anziehungskraft in Verbindung bringen, sowie damit, abnormal zu sein und so zu wirken, als ob sie eine psychiatrische Erkrankung und ausgeprägte Ängste hätten (Purdon, Antony, Monteiro, & Swinson, 2001; Roth, Antony, & Swinson, 2001).

Interessanterweise überschätzen Menschen mit hoher sozialer Ängstlichkeit die positiven Eigenschaften, die mit dem Auftreten von sozialem Selbstvertrauen einhergehen (Bielak & Moscovitch, 2012).
Ähnlich wie beim Halo-Effekt, bei dem wir körperlich attraktiven Menschen fälschlicherweise höchst wünschenswerte Eigenschaften zuschreiben (Eagly, Ashmore, Makhijani, & Longo, 1991), glauben Menschen mit sozialer Phobie, dass ein selbstbewusstes Auftreten in sozialen Interaktionen mit einer ganzen Reihe von Vorteilen einhergeht.

Zweitens führt es dazu, dass versucht wird, sichtbare Anzeichen der Angst zu unterdrücken, was sie paradoxerweise eher noch verstärkt.
Je intensiver die Angst und die damit verbundenen körperlichen Symptome sind, desto leichter wird es für andere Leute, sie zu bemerken.
Körperempfindungen & Wahrnehmbarkeit von sozialer Angst
Ein weiterer wichtiger Aspekt, den es zu beachten gilt, sind die inneren Körperempfindungen und die körperliche Erregung von Menschen mit sozialer Phobie.
Die meisten Betroffenen nutzen ihre körperliche Erregung als direkte Rückmeldung, wie gut eine soziale Situation verläuft und wie sie auf andere wirken (Wild, Clark, Ehlers, & McManus, 2008).
Körperliche Empfindungen und Erregung sind jedoch nicht unbedingt gute Indikatoren dafür, wie gut eine Situation verläuft, da unsere inneren Zustände für die Menschen um uns herum oft nicht offensichtlich sind.

Zum Beispiel kann sich eine Person während eines Gesprächs sehr ängstlich fühlen und ein Engegefühl in der Brust verspüren. Dennoch ist ihr Gesprächspartner wahrscheinlich in das Gespräch vertieft, konzentriert sich auf das, was gesagt wird, und erfreut sich an einem interessanten Gespräch.
Viele Menschen mit sozialen Ängsten fallen diesem Denkfehler zum Opfer und glauben, dass das, was sie fühlen, für alle um sie herum offensichtlich ist.
In Wirklichkeit ist das aber oft nicht der Fall. Nochmals, es kann sich so anfühlen, als ob die Angst für alle um sie herum offensichtlich ist, wenn sie es eigentlich nicht ist – zumindest nicht so sehr, wie Betroffene zu glauben pflegen.
Fazit
- Soziale Ängste können sich bemerkbar machen, wenn ein Betroffener akute Symptome zeigt.
- Die Angst kann sich durch sichtbare Anzeichen von Furcht (Zittern, Erröten, Schwitzen, zittrige Stimme usw.) oder durch beeinträchtigtes soziales Verhalten (Vermeiden von Blickkontakt, Zurückhaltung, unangemessenes soziales Verhalten usw.) äußern.
- Nicht betroffene Personen können zwar erkennen, dass eine Person sozial ängstlich ist, nehmen aber weniger von der Angst wahr, als Betroffene glauben, und sie schätzen ihre soziale Kompetenz besser ein als Betroffene selbst.
- Sich in bestimmten sozialen Situationen etwas unsicher zu fühlen und zu verhalten, ist ganz normal. Die meisten Menschen gehen daher nicht davon aus, dass eine Person an einer psychischen Störung leidet, nur weil diese etwas unsicher wirkt.
Wenn du unter sozialer Phobie leidest und dich fragst, was du tun kannst, um sie zu überwinden, schau dir unseren umfangreichen Behandlungsleitfaden an, um einen vollständigen Überblick zu erhalten.
Antony, M. M., Rowa, K., Liss, A., Swallow, S. R., & Swinson, R. P. (2005). Social Comparison Processes in Social Phobia. Behavior Therapy, 36(1), 65–75. https://doi.org/10.1016/S0005-7894(05)80055-3
Bielak, T., & Moscovitch, D. A. (2013). How do I measure up? The impact of observable signs of anxiety and confidence on interpersonal evaluations in social anxiety. Cognitive Therapy and Research, 37(2), 266–276. https://doi.org/10.1007/s10608-012-9473-4
Eagly, A. H., Ashmore, R. D., Makhijani, M. G., & Longo, L. C. (1991). What is beautiful is good, but…: A meta-analytic review of research on the physical attractiveness stereotype. Psychological Bulletin, 110(1), 109–128. https://doi.org/10.1037/0033-2909.110.1.109
Heerey, E. A., & Kring, A. M. (2007). Interpersonal consequences of social anxiety. Journal of abnormal psychology, 116(1), 125–134. https://doi.org/10.1037/0021-843X.116.1.125
Moscovitch, D. A. (2009). What is the core fear in social phobia? A new model to facilitate individualized case conceptualization and treatment. Cognitive and Behavioral Practice, 16(2), 123–134. https://doi.org/10.1016/j.cbpra.2008.04.002
Moscovitch, D. A., & Hofmann, S. G. (2007). When ambiguity hurts: Social standards moderate self-appraisals in generalized social phobia. Behaviour Research and Therapy, 45(5), 1039–1052. https://doi.org/10.1016/j.brat.2006.07.008
Norton, P. J. and Hope, D. A. (2001). Kernels of Truth or Distorted Perceptions: Self and Observer Ratings of Social Anxiety and Performance. Faculty Publications, Department of Psychology. 882. https://digitalcommons.unl.edu/psychfacpub/882
Plasencia, M. L., Alden, L. E., & Taylor, C. T. (2011). Differential effects of safety behaviour subtypes in social anxiety disorder. Behaviour research and therapy, 49(10), 665–675. https://doi.org/10.1016/j.brat.2011.07.005
Purdon, C., Antony, M., Monteiro, S., & Swinson, R. P. (2001). Social anxiety in college students. Journal of Anxiety Disorders, 15(3), 203–215. https://doi.org/10.1016/S0887-6185(01)00059-7
Rapee, R. M., & Lim, L. (1992). Discrepancy between self- and observer ratings of performance in social phobics. Journal of Abnormal Psychology, 101(4), 728–731. https://doi.org/10.1037/0021-843X.101.4.728
Roth, D., Antony, M. M., & Swinson, R. P. (2001). Interpretations for anxiety symptoms in social phobia. Behaviour Research and Therapy, 39(2), 129–138. https://doi.org/10.1016/S0005-7967(99)00159-X
Weisman, O., Aderka, I. M., Marom, S., Hermesh, H., & Gilboa-Schechtman, E. (2011). Social rank and affiliation in social anxiety disorder. Behaviour research and therapy, 49(6-7), 399–405. https://doi.org/10.1016/j.brat.2011.03.010
Wild, J., Clark, D. M., Ehlers, A., & McManus, F. (2008). Perception of arousal in social anxiety: effects of false feedback during a social interaction. Journal of behavior therapy and experimental psychiatry, 39(2), 102–116. https://doi.org/10.1016/j.jbtep.2006.11.003
Wilson, J. K., & Rapee, R. M. (2005). The interpretation of negative social events in social phobia with versus without comorbid mood disorder. Journal of Anxiety Disorders, 19(3), 245–274. https://doi.org/10.1016/j.janxdis.2004.03.003
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